Einführung ins Artenschutzrecht und Vorstellung des Urteils vom 4. März 2021 (Rs. C-473/19 und C-474/19)
Einführung ins Artenschutzrecht
Das deutsche Artenschutzrecht ist sehr stark europäisch geprägt, insbesondere durch die im Anhang aufgezählten und gefährdeten Arten der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (FFH-RL) und die für alle europäischen Vogelarten geltende Vogelschutzrichtlinie (V-RL). Diese werden aufgrund ihrer ähnlichen Ausgestaltung im deutschen (besonderen) Artenschutzrecht gemeinsam, d.h. ohne im Anwendungsbereich zu unterscheiden, umgesetzt. Dabei stellt die Normierung der Verbotstatbestände in § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) die zentrale Norm dar. Hier werden unter anderem die sogenannten Zugriffsverbote normiert, wie etwa das für die Windenergie besonders relevante Verbot der Tötung geschützter Arten, aber auch das Verbot diese Arten zu Stören oder zu Fangen.
Zum Sachverhalt
Im Urteil vom 4. März 2021 zu den verbundenen Rechtssachen C-473/19 und C-474/19 hatte der EuGH über die Vorlage eines schwedischen Gerichts zu entscheiden. Hierbei ging es um die Klärung wesentlicher Grundsatzfragen zur Auslegung der in Schweden ebenfalls gemeinsam umgesetzten Verbotstatbestände der beiden Richtlinien, die für die Entscheidung des schwedischen Gerichts von Bedeutung sind. Das Gericht hatte nach der Klage einer Naturschutzorganisation über die Zulässigkeit der Abholzung eines Waldes zu entscheiden, von der auch geschützte Arten betroffen wären.
Das Urteil
In seiner Entscheidung konzentrierte sich der EuGH dabei vor allem auf die FFH-RL und bekräftigt dabei deutlich, dass für die Tatbestände der Zugriffsverbote der Erhaltungszustand der fraglichen Art keine Rolle spielt. Auch eine Einschränkung des Tatbestandsmerkmals der absichtlichen Tötung oder Störung verneinte der BGH und bestätigt damit seine bisherige Rechtsprechung.
Wie so oft ist hierbei von Interesse, was ungesagt blieb. So hat der EuGH wegen der zulässigen Erstreckung der Verbotstatbestände der FFH-RL in Schweden auch auf Vögel, eine Äußerung über die FFH-RL hinaus auf die in dieser Hinsicht als weniger streng gesehene V-RL umgehen können. Von besonderer Brisanz stellt sich dies dar, da die Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen eine Differenzierung zwischen den beiden Richtlinien vertritt. So sei im Rahmen der V-RL bei zumindest nicht zielgerichteter Verwirklichung der Zugriffsverbote, der Tatbestand dahingehend zu beschränken, dass dieser nur dann verwirklicht sein soll, wenn dies notwendig ist, um den Erhaltungszustand der zu schützen. Hierbei gelte es, den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung zu tragen, um die unverhältnismäßige Einschränkungen menschlicher Aktivitäten zu vermeiden, vor allem, da die V-RL anders als die FFH-RL eben nicht nur gefährdete, sondern auch „Allerweltsarten“ schützt.
Folgen für das Artenschutzrecht?
Im Großen und Ganzen bestätigt das Urteil die bisherige deutsche Rechtslage und Praxis im Artenschutzrecht. Eine Ausnahme bildet dabei das in Deutschland nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG auch am Erhaltungszustand der Art ausgerichtete Störungsverbot, das derart eingeschränkt künftig lediglich auf Vögel anwendbar ist.
Für die sog. Signifikanzschwelle, ab der erst das für die Windenergie wesentlich bedeutsamere Tötungsverbot verletzt ist, ergibt sich aus dem Urteil hingegen ebenso wenig eine Neuerung, wie für die Differenzierung nach der Windenergiesensibilität von Vögeln. Die Zurückhaltung des EuGH wirft vor allem in Bezug auf die V-RL neue Fragen auf, deren Klärung bislang nicht absehbar erscheint. Vorerst jedenfalls erscheint es aufgrund mangelnder Übertragbarkeit der sich stark am Wortlaut der FFH-RL orientierenden Argumentation gut vertretbar, die von Kokott vorgeschlagene Tatbestandseingrenzung im Anwendungsbereich der V-RL in nationales Recht umzusetzen. Da nach der EuGH-Rechtsprechung eine lediglich europarechtskonforme Anwendung nationaler Regelungen zur FFH-RL nicht ausreicht (EuGH, U. v. 15. März 2012 – Rs. C-46/11), ist vor dem Hintergrund der Änderungen beim Störungsverbot ohnehin gesetzgeberisches Tätigwerden geboten, sodass hier die Chance besteht, eine sinnvolle Erleichterung im Artenschutzrecht zugunsten Erneuerbarer Energien umzusetzen. Der Ball liegt damit einmal mehr im Feld des Gesetzgebers.
Gabi Ikert-Tharun, Rechtsanwältin
Robin Czudaj, Wissenschaftlicher Mitarbeiter
(Foto: Helmut Cremer)
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