Foto: K. HOWARD
Der Sachverhalt:
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall auf dem Parkplatz eines Baumarktes geltend. Die durch markierte Parkbuchten gekennzeichneten Parkflächen des Parkplatzes waren durch sich teilweise kreuzende, durch ihre Pflasterung nicht von den Parkbuchten abgehobene Fahrspuren erschlossen. Eine Beschilderung zur Regelung der Vorfahrt oder Fahrbahnmarkierungen existierten nicht. Zum Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger mit seinem Pkw eine zwischen den Parkflächen befindliche Fahrgasse, der Beklagte zu 1 mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw aus Sicht des Klägers von links kommend eine diese Gasse kreuzende Fahrspur. Die wechselseitigen Blickfelder waren dabei durch einen parkenden Sattelzug erheblich eingeschränkt. Im Kreuzungsbereich kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge. Die Beklagte zu 2 regulierte den klägerischen Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %. Mit seiner Klage begehrt der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldner den Ausgleich seines restlichen Schadens nach einer Quote von 100 %.
Prozessualer Verlauf:
Das Amtsgericht hat der Klage unter Annahme einer Haftungsquote von 70 % zu 30 % zu Lasten der Beklagten teilweise stattgegeben. Die Berufung des Klägers ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die zulässige Revision des Klägers ist nach Meinung des BGH nicht begründet.
Die Vorfahrtsregel des § 8 Abs.1 S. 1 StVO findet demnach auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt.
Der BGH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt: Die Regeln der StVO sind auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar, so dass etwa von den Nutzern des Parkplatzes das sich aus § 1 StVO ergebene Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme zu beachten ist. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Dabei muss es sich bei den aufeinanderstoßenden Fahrbahnen um Straßen handeln. Die gesetzliche Vorfahrtsregelung soll den zügigen Verkehr auf bevorrechtigten Straßen gewährleisten und damit durch klare und sichere Verkehrsregeln auch der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen. Ein Parkplatz ist dagegen, als Ganzes betrachtet, keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche, die grundsätzlich in jeder Richtung befahren werden darf. Die auf Parkplätzen vorhandenen Fahrspuren dienen nicht der möglichst zügigen Abwicklung des fließenden Verkehrs, sondern der Erschließung der Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangierräumen und der Ermöglichung von Be- und Entladevorgängen, wobei die Fahrbahnen regelmäßig sowohl von Kraftfahrern als auch von Fußgängern genutzt werden. Fehlt es an einem solchen eindeutigen Straßencharakter, kommt auf öffentlichen Parkplätzen auch keine entsprechende oder mittelbare Anwendung der Vorfahrtsregel „rechts vor links“ im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Die Haftungsverteilung orientiert sich demnach an § 17 StVG.
BGH, Urteil vom 22.11.2022 - VI ZR 344/21
Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt für Verkehrsrecht
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