Experten vermuten, dass im Zuge der Corona-Krise auch die Anzahl häuslicher Gewalttaten zunimmt. Laut einem Bericht des Spiegel sind zum Beispiel die Anrufe beim sogenannten Hilfetelefon in den Wochen seit Ausbruch des Virus um fast 20 Prozent gestiegen. Diese offizielle Telefonhotline bietet von Gewalt Betroffenen Beratung an.
Weshalb verstärkt die Corona-Krise häusliche Gewalt?
Die im Zuge der Pandemie verhängten Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote zwingen Familien, sich auf engstem Raum aufzuhalten. Dadurch erhöht sich das Konfliktpotenzial. In Haushalten, in denen ohnehin Gewalttendenzen vorhanden sind, verschärft sich die Lage. Die Situation ist mit Weihnachten „vergleichbar“, nur eben konzentrierter und mittlerweile über viele Wochen hinweg.
Diese Faktoren begünstigen häusliche Gewalt in der Krise
Das erschwert den Zugang zu Hilfsangeboten
Der Zugang für Opfer zu beispielsweise Frauenhäusern ist derzeit oft erschwert, weil der gewalttätige Partner durch das ständige Beisammensein und die Kontaktsperren mehr Kontrolle ausüben kann. Täter können ihr Opfer am Verlassen der Wohnung hindern sowie Telefonate, Onlineaktivitäten und Ähnliches überwachen. Hinzu kommt die Angst und Unsicherheit vieler Opfer aufgrund von Corona. Manche befürchten, sich anzustecken, wenn sie ihr Zuhause verlassen und in eine Gemeinschaftsunterkunft ziehen.
Was können Betroffene dennoch tun?
Unter www.hilfetelefon.de gibt es bundesweit Unterstützung und Beratung für Opfer häuslicher Gewalt. Dazu zählen Infomaterialien, ein Sofort-Chat, eine Beratungshotline und mehr. Außerdem gibt es regionale Frauenhäuser und örtliche Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt. Oft sind es jedoch nicht nur diese offiziellen Angebote, die Opfern in akuter Notlage helfen können. Es braucht auch ein waches, hilfsbereites und entschlossenes Umfeld – das kann beispielsweise der Nachbar sein, zu dem das Opfer flüchtet oder der im Notfall von sich aus die Polizei verständigt.
Das hat der Gesetzgeber gegen häusliche Gewalt getan
Seit dem Jahr 2002 gibt es das sogenannte Gewaltschutzgesetz. Es sieht einerseits zivilrechtliche Schutzmaßnahmen wie Näherungsverbote und Kontaktsperren vor. Ein Täter darf sich beispielsweise seinem Opfer nicht nähern, es nicht anrufen oder ihm Nachrichten senden. Diese allgemeinen Maßnahmen können auch bei Stalking oder anderen Straftaten angewendet werden. Ferner formuliert das Gesetz bei einem gemeinsamen dauerhaften Haushalt einen Überlassungsanspruch bezüglich der Wohnung. Das heißt: Wer gewalttätig ist, muss das eigene Zuhause verlassen. „Früher waren es eher die Opfer, meist die Partnerinnen, die geflüchtet sind. Sie sind ins Frauenhaus gegangen, kurzzeitig zu Freunden gezogen oder haben sich eine neue Wohnung genommen. Dank des Gesetzes lautet der Tenor jetzt: ‚Der Täter geht, das Opfer bleibt‘“, sagt Annett Brodkorb. Sie ist Rechtsanwältin (RAin) bei Lenga, Wähling und Partner und beschäftigt sich mit dem Thema seit vielen Jahren.
Häusliche Gewalt nimmt nicht ab
RAin Brodkorb berät Opfer häuslicher Gewalt in ihrer Meißner Kanzlei oder – was in letzter Zeit immer häufiger vorkommt – direkt im Frauenhaus. Die Anwältin hat bisher nicht nur zahlreiche Fälle vor Gericht vertreten, sie hat sich auch privat des Themas angenommen: Als Mitglied des Lions Clubs Meißen-Domstadt unterstützt sie das regionale Frauenhaus ganz konkret mit Spendenaktionen und persönlichem Engagement. „Mich bewegt diese Thematik nun schon seit vielen Jahren und das Erschreckende ist: Es gibt keinen Rückgang der Fälle. Hier fehlt noch immer eine breite gesellschaftliche Sensibilisierung. Das Thema kommt in den Medien nur ab und an nach oben und verschwindet dann leider wieder in der Versenkung“, beklagt die Anwältin.
Kein Milieuproblem
Es stimme nicht, dass häusliche Gewalt nur Menschen mit geringem Einkommen und aus sozialen Brennpunkten betrifft. Nach Erfahrung der Anwältin gehe das Problem quer durch alle Gesellschaftsschichten. Besser situierte Opfer scheuten sich oft, ins Frauenhaus zu gehen. Sie kämen direkt zur Rechtsberatung und nähmen sich beispielsweise eine neue Wohnung, um Distanz zum Täter aufzubauen. Oftmals fürchte man hier den sozialen Abstieg. Eine zumindest empfundene Stigmatisierung kommt also zur häuslichen Gewalterfahrung noch hinzu.
Gute Vernetzung und Prävention können helfen
Gegen das Thema häusliche Gewalt gibt es kein Patentrezept, das weiß die Rechtsanwältin. Dennoch könne man etwas tun: „Es gibt bei dem Thema keine absolute Sicherheit. Aber ich würde mir wünschen, dass das gesamte soziale Umfeld – Familie, Freunde, Kollegen, Erzieher, Lehrer – genauer hinsieht. Man sollte sich nicht durch den Schein der oftmals ‚perfekten Familie‘ täuschen lassen und stattdessen Hilfe anbieten, wenn man irgendetwas bemerkt.“ Zudem sind eine gute Vernetzung öffentlicher Institutionen wie Jugendämter, Beratungsstellen, Polizei, Gerichte und eine vorausschauende Prävention nötig. „Häusliche Gewalt ist nicht nur ein Problem zwischen den Lebenspartnern, auch Kinder leiden sehr. Deshalb ist es wichtig, auch ihnen konsequente Unterstützung in der Not und Hilfe bei der Bewältigung anzubieten. Kinder, die Gewalt erlebt haben, dürfen nicht Gefahr laufen, später selbst zu Gewalttätern zu werden“, mahnt RAin Brodkorb.
Hier finden Opfer Unterstützung
Beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen" können sich Opfer kostenlos unter 08000 116 016 an 365 Tagen im Jahr zu jeder Uhrzeit und anonym beraten lassen.