Neuregelungen zum ArbZG infolge des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022, 1 ABR 21/22 in Sichtweite

Neuregelungen zum ArbZG infolge des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022, 1 ABR 21/22 in Sichtweite.

geplante ArbZG-Reform Wesentliche Neuerungen|Übersicht

1. die Aufzeichnung in nichtelektronischer Form erfolgen kann,

2. die Aufzeichnung an einem anderen Tag erfolgen kann, spätestens aber bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages,

3. die Pflicht zur Aufzeichnung nicht gilt bei Arbeitnehmern, bei denen die gesamte Arbeitszeitwegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann

Sanktionierung, § 22 Abs. 1 Nr. 9 und 10 ArbZG-E

Übergangsregelung

Fortgang

Handlungsbedarf

Mit Inkrafttreten des Gesetzes sind zwingend die dann maßgeblichen Regelungen umzusetzen und im Wege einer Arbeitszeit-Compliance zu monitoren. Geschäftsleitern (Geschäftsführern und Vorständen) sehen sich erneut einem zusätzlichen Haftungsrisiko ausgesetzt.

Dr. Arlette I. Sterl, Rechtsanwältin

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Anschnallen bitte! – Unwetterwarnung und weggewehte Balkonmöbel – wer haftet?

§ 823 Abs. 1 BGB (auszugsweise): Wer fahrlässig das Eigentum eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus resultierenden Schadens verpflichtet.

 

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Eigentümer eines Pkw. Dieser Pkw war am 20.02.2022 vor einem Mehrfamilienhaus ordnungsgemäß am Straßenrand geparkt. Der Beklagte bewohnt im 3. Obergeschoss dieses Mehrfamilienhauses eine Wohnung mit Balkon. Auf dem Balkon befanden sich am 20.02.2022 Balkonmöbel, u. a. auch ein Glastisch. Vom 19. – 21.02.2022 zogen zwei Sturmtiefe über die Region. Vor diesen hatte der Deutsche Wetterdienst, DWD, gewarnt. Die Orkanböen erreichten Spitzen bis 149 km/h. Durch den Sturm flog der auf dem Balkon der Wohnung des Beklagten stehende Klastisch auf den Pkw des Klägers und beschädigte diesen erheblich. In der Folge forderte der Kläger die Haftpflichtversicherung des Beklagten auf, den Schaden an seinem Pkw zu ersetzen, da der Beklagte die Balkonmöbel nicht oder unzureichend gesichert habe, wodurch der Schaden eingetreten sei. Der Haftpflichtversicherer verweigerte die Leistung von Schadenersatz. Die Balkonmöbel – auch der Tisch – seien mit Gummispannbändern gesichert gewesen. Die Konstruktion habe sich in 10 Jahren bewährt und sei auch sturmerprobt. Damit war der Kläger nicht einverstanden und erhob gegen den Beklagten eine Schadenersatzklage.

Die Entscheidung:
Das für den Rechtsstreit sachlich und örtlich zuständige Landgericht Hagen hat der Klage auf Zahlung von Schadenersatz stattgegeben.

Zur Begründung führt das Gericht aus, der Beklagte habe schuldhaft seine Verkehrssicherungspflichten verletzt, weshalb ihm ein schuldhaftes Unterlassen vorzuwerfen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtliche gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.

Vorliegend hat der Beklagte durch Stehenlassen der Balkonmöbel, namentlich des Glastisches, eine Gefahrenlage dahingehend geschaffen, dass – wie verständiger Sicht eines objektiven Dritten naheliegend möglich erscheint – in Fällen starken Sturmes die Gefahr begründet wird, dass bewegliche Gegenstände von Windstößen erfasst und vom Balkon hinunter auf die Parkplätze vor dem Haus geweht werden können. Daraus folgt eine Verkehrssicherungspflicht dahingehend, dass jedenfalls bei Unwetterwarnungen vor Sturm-/Orkantiefen ausreichende Maßnahmen zu treffen waren, um zu verhindern, dass die Balkonmöbel auf die Parkplätze vor dem Haus geweht werden. Dies hätte geschehen können entweder durch den angekündigten Sturm-/Orkantiefen standhaltende Befestigungen (unter Verwendung hinreichend starker Befestigungen und Verankerungen) oder durch Unterstellen der Balkonmöbel für die überschaubare Zeit des Sturmes (bspw. innerhalb des Hauses).

Das die Befestigung, die vorhanden war, 10 Jahre gehakten habe, ohne das Möbel vom Wind ergriffen wurden, führt zu keiner anderen Bewertung. Das Ausbleiben eines Schadens kann viele Gründe haben, insbesondere darin liegen, dass die Möbel zuvor nicht in derselben Weise den Kräften eines Sturmes – wie für den Schadenstag vorhergesagt – ausgesetzt waren oder glücklicherweise die unsichere Konstruktion gehalten hat.

Landgericht Hagen – Urteil vom 31.01.2023 – 4 O 111/22
Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt für Verkehrsrecht

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Rechts vor links auf dem Supermarktparkplatz? Weit gefehlt! – Zur Haftung bei einem Unfall auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes

Der Sachverhalt:

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall auf dem Parkplatz eines Baumarktes geltend. Die durch markierte Parkbuchten gekennzeichneten Parkflächen des Parkplatzes waren durch sich teilweise kreuzende, durch ihre Pflasterung nicht von den Parkbuchten abgehobene Fahrspuren erschlossen. Eine Beschilderung zur Regelung der Vorfahrt oder Fahrbahnmarkierungen existierten nicht. Zum Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger mit seinem Pkw eine zwischen den Parkflächen befindliche Fahrgasse, der Beklagte zu 1 mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw aus Sicht des Klägers von links kommend eine diese Gasse kreuzende Fahrspur. Die wechselseitigen Blickfelder waren dabei durch einen parkenden Sattelzug erheblich eingeschränkt. Im Kreuzungsbereich kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge. Die Beklagte zu 2 regulierte den klägerischen Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %. Mit seiner Klage begehrt der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldner den Ausgleich seines restlichen Schadens nach einer Quote von 100 %.

Prozessualer Verlauf:

Das Amtsgericht hat der Klage unter Annahme einer Haftungsquote von 70 % zu 30 % zu Lasten der Beklagten teilweise stattgegeben. Die Berufung des Klägers ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die zulässige Revision des Klägers ist nach Meinung des BGH nicht begründet.

Die Vorfahrtsregel des § 8 Abs.1 S. 1 StVO findet demnach auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt.

Der BGH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt: Die Regeln der StVO sind auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar, so dass etwa von den Nutzern des Parkplatzes das sich aus § 1 StVO ergebene Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme zu beachten ist. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Dabei muss es sich bei den aufeinanderstoßenden Fahrbahnen um Straßen handeln. Die gesetzliche Vorfahrtsregelung soll den zügigen Verkehr auf bevorrechtigten Straßen gewährleisten und damit durch klare und sichere Verkehrsregeln auch der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen. Ein Parkplatz ist dagegen, als Ganzes betrachtet, keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche, die grundsätzlich in jeder Richtung befahren werden darf. Die auf Parkplätzen vorhandenen Fahrspuren dienen nicht der möglichst zügigen Abwicklung des fließenden Verkehrs, sondern der Erschließung der Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangierräumen und der Ermöglichung von Be- und Entladevorgängen, wobei die Fahrbahnen regelmäßig sowohl von Kraftfahrern als auch von Fußgängern genutzt werden. Fehlt es an einem solchen eindeutigen Straßencharakter, kommt auf öffentlichen Parkplätzen auch keine entsprechende oder mittelbare Anwendung der Vorfahrtsregel „rechts vor links“ im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Die Haftungsverteilung orientiert sich demnach an § 17 StVG.

BGH, Urteil vom 22.11.2022 - VI ZR 344/21

 

Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt für Verkehrsrecht

 

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Elektroroller explodiert - Wer haftet?

Zur Reichweite der Haftung des Halters eines Elektrorollers nach § 7 Abs. 1 StVG, wenn dessen ausgebaute Batterie während des Aufladens explodiert und dadurch einen Schaden verursacht

Der Sachverhalt:

Der klagende Gebäudeversicherer nimmt die Beklagte als KfZ-Haftpflichtversicherung aus übergangenem Recht auf Schadenersatz in Anspruch.

Ein Versicherungsnehmer brachte seinen Elektroroller zur Inspektion in eine Werkstatt, das Gebäude ist bei der Klägerin versichert. Ein Mitarbeiter der Werkstatt entnahm die Batterie des Elektrorollers und begann diese aufzuladen. Als der Mitarbeiter bemerkte, dass sich die Batterie stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und legte sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt. Kurz darauf explodierte die Batterie und setzte das Gebäude in Brand.

Prozessualer Verlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die zulässige Revision der Klägerin ist nach Meinung des BGH nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Batterie nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des Elektrorollers explodiert ist.

Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt wurden ist. Dieses Haftungsmerkmal ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit) geprägt wurden ist.

Legt man diese Maßstäbe zugrunde, kann die Klage - so der BGH - keinen Erfolg haben.

Die Erhitzung und die nachfolgende Explosion der Batterie ist in keinem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebseinrichtung im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG zu sehen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Batterie bereits aus dem Elektroroller ausgebaut und hatte zu diesem keine Verbindung mehr. Bei dieser Sachlage besteht kein Unterschied zu der Situation, in der eine zuvor nicht im Elektroroller befindliche Batterie dort eingebaut werden soll und zu diesem Zweck vorher aufgeladen wird. In diesen Fällen ist die Batterie nicht mehr bzw. noch nicht Teil der Betriebseinrichtung. Allein der Umstand, dass sich die Batterie zuvor im Elektroroller befand und in diesem entladen wurde, begründet nicht den erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

BGH, Urteil vom 24.01.2023 - VI ZR 1234/20

Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt für Verkehrsrecht

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Die „Blitzer-App“ im Straßenverkehr

Der Sachverhalt:

Der Betroffene fuhr am 31.01.2022 im Stadtgebiet von H. in seinem Pkw mit teilweise deutlich überhöhter Geschwindigkeit. Dabei wusste er, dass auf dem in der Mittelkonsole abgelegten Mobiltelefon seiner Beifahrerin eine App zur Anzeige von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen aktiv war. Bei einer Polizeikontrolle wurde dieser Sachverhalt festgestellt.

Der Betroffene wurde wegen vorsätzlichen Mit Sich Führen eines betriebsbereiten technischen Gerätes, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen, zu einer Geldbuße von 100,00 € verurteilt. Hiergegen stellte der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er machte geltend, dass ein Verstoß gegen die Norm nur bei einem vom Fahrzeugführer selbst wissentlich aktivierten Gerät vorliege, das sich in seinem unmittelbaren Zugriff befindet. Das OLG Karlsruhe hält die Rechtsbeschwerde für unbegründet.

Die Entscheidung:

Ein durch § 23 Abs. 1 c S. 3 StVO verbotenes Verwenden der zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bestimmten Funktionen eines technischen Gerätes, das auch zu anderen Nutzungszwecken verwendet werden kann, liegt auch dann vor, wenn ein anderer Fahrzeuginsasse mit Billigung des Fahrzeugführers auf seinem Mobiltelefon eine App geöffnet hat, mit der vor Verkehrsüberwachungsmaßnahmen gewarnt wird. Es genüge jedes Handeln, mit der der Fahrer sich die verbotene Funktion zunutze macht. Erfasst wird deshalb auch die Nutzung der auf dem Mobiltelefon eines anderen Fahrzeuginsassen installierten und aktivierten Funktion.

Ausblick

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist, soweit ersichtlich, die erste obergerichtliche Rechtsprechung, die sich mit dem Verwenden von Blitzer Apps beschäftigt, wenn es um das Smartphone eines Mitfahrers geht. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift mag das Ergebnis nachvollziehbar sein. Allerdings lässt das OLG Karlsruhe die Frage offen, an welchem Punk die Grenze zur ordnungswidrigen Verwendung durch den Fahrer erreicht ist.

OLG Karlsruhe vom 07.02.2023, 2 ORbs 35 Ss99/23 

Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt für Verkehrsrecht

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Ein Paukenschlag: Arbeitszeiterfassung ist Pflicht.

Bundesarbeitsgericht, Beschl. v. 13.09.2022, 1 ABR 21/22

Inhalt der Entscheidung

Überraschungseffekt?

Doch ist die Entscheidung wirklich so überraschend? Bislang mussten nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz ohnehin bereits Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden. Neu ist nun, dass dies die gesamte Arbeitszeit betrifft. Infolge der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aus dessen Stechuhr-Urteil von 2019 ist die deutsche Bundesregierung derzeit ohnehin damit beschäftigt, diese in deutsches Recht umzusetzen. Der EuGH hat vormals bereits entschieden, dass EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind.

Konsequenzen

Handlungsbedarf

Der Beschluss des BAG ist noch nicht abrufbar - bis dato nur die Pressemitteilung. Aus dem Volltext des Beschlusses kann sich mehr ergeben - diesen erwarten wir mit Spannung, um Handlungsempfehlungen geben zu können.

Dr. Arlette I. Sterl,Rechtsanwältin

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Hindernis Autotür - Voller Schadenersatz für Fahrradfahrer

Fahrradfahrer müssen zu parkenden Autos nicht so viel Abstand halten, dass deren Türen problemlos geöffnet werden können. Das hat das Landgericht Köln im Urteil vom 02.08.2022 (5 O 372/20) zu einem sogenannten „Dooring-Unfall“ entschieden.

Was war passiert?

Ein Radfahrer ist an einem parkenden Kraftfahrzeug vorbeigefahren. Als sich der Radfahrer auf gleicher Höhe mit dem Pkw befand, öffnete der Kraftfahrer die Fahrertür. Der Radfahrer fuhr gegen die geöffnete Tür und stürzte. Es entstand Sach- und Personenschaden. Der Radfahrer begehrte Schadenersatz zu 100 %. Die Haftpflichtversicherung des Kraftfahrers erkannte nur eine Quote von

75 % an. Der Radfahrer erhob Klage, das Landgericht Köln sprach ihm Schadenersatz zu 100 % zu.

Kein Mitverschulden des Radfahrers

Das Landgericht Köln begründet seine Entscheidung damit, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beweis des ersten Anscheins dafür spreche, dass der Autofahrer den Unfall verursacht habe, weil die Kollision im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür erfolgt sei. Gemäß § 14 Abs. 1 StVO hätte sich der Autofahrer dabei so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Ein Mitverschulden müsse sich der Radfahrer anspruchsmindernd nicht zurechnen lassen. Das Landgericht betont in seiner Entscheidung, dass der Radfahrer keinen so großen Seitenabstand zum Fahrzeug einhalten muss, dass er selbst bei einer vollständig geöffneten Fahrertür nicht kollidieren würde. Mit einer so groben Unaufmerksamkeit des Autofahrers, Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO, habe der Radfahrer nach Auffassung des Landgerichts Köln schlicht nicht rechnen müssen.

Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt

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Das „Hochsommer-Paket“ der Erneuerbaren Energien – Verkündung des WaLG, BNatSchG EEG etc.

Das Warten hat ein Ende. Nachdem der Gesetzgeber die Erneuerbare-Energien-Branche seit vielen Wochen mit leicht, mittel und überwiegend schwer verständlichen Gesetzesentwürfen und -beschlüssen zum Gelingen der Energiewende auf Trapp hielt, löste das Bundesgesetzblatt am 28.07.2022 nun das ein, was versprochen wurde. Verkündet wurden:

- das Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land (WaLG)

- das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG)

- das Gesetz zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor

Das WaLG umfasst das Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG), Änderungen des BauGB, Änderungen des ROG und Änderungen des EEG. Das WaLG tritt, damit genug Vorlaufzeit für die Umsetzung bleibt, am 1. Februar 2023 in Kraft. Pointierter Inhalt: planungsrechtlich wurde das zugunsten von Vorhaben möglich gemacht, was offenbar (nur) möglich war.

Die Änderung des BNatSchG, die u. a. (hoffentlich) Erleichterung bei artenschutzrechtlichen Konflikten verschafft, tritt heute, am 29. Juli 2022, in Kraft. Ausgenommen ist die Einführung des § 26 Abs. 3 BNatSchG, der WEA-Vorhaben in Landschaftsschutzgebieten legitimiert, sofern die Flächenziele des WindBG noch nicht erreicht wurden. Das ist erst ab 1. Februar 2023 möglich.

Mit dem Gesetzespaket zu "Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der EE etc." werden u. a. das EEG, das KWKG sowie das EnWG umfassend geändert.  Die Änderungen des EEG 2021 umfassen u. a. die hochgelobte und sehnlichst erwartete Einführung des § 2 EEG 2021. Dort wird klargestellt, dass der EE-Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Damit kann der ein oder andere vermeintlich entgegenstehende öffentliche Belang in Zukunft bestenfalls „Schachmatt“ gesetzt werden. Das gilt ab heute, 29. Juli 2022. Am 1. Januar 2023 tritt dann das EEG 2023 in Kraft.

Mit Spannung erwarten wir nun die Initiative zur „Beschleunigungsnovelle“, die Geschwindigkeit in die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren bringen soll. Geäußert sei hier ein weiteres Mal der Wunsch, dass ein Teil der Behörden sich schlichtweg das zu Herzen nehmen, was längst Gesetz ist: drei bzw. sieben Monate Verfahrensdauer - je nach Verfahrensart, die authentische Wahrnehmung der Rolle als „Herrin des Verfahrens“ und ein couragierter Umgang mit latent schweigenden und negierenden Fachbehörden scheinen aus unserer Sicht ein guter Anfang zu sein.

Es ist sehr viel los und es gibt sehr viel zu verstehen. Wir unterstützen Sie dabei gern – mit Herz und Verstand für den Wandel!

Gabi Ikert-Tharun, Rechtsanwältin

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Urteil des BGH zur Vorfahrt im Straßenverkehr - Oder: "Reißverschluss" in der verengten Fahrbahn?

Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung gilt das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§1 StVO). Ein regelhafter Vorrang eines der beiden bisherigen Fahrstreifen besteht nicht.

Die Ausgangslage

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug den rechten Fahrstreifen einer in Fahrtrichtung zunächst zweispurigen Straße. Neben ihr, auf dem linken Fahrstreifen, fuhr die Beklagte. Nach einer Ampel folgten noch 5 Markierungen zwischen den beiden Fahrstreifen, dann befindet sich das Symbol der beidseitigen Fahrbahnverengung (Gefahrzeichen 120) auf der Fahrbahn. Die Beklagte zog mit ihrem Fahrzeug nach rechts und kollidierte mit dem Fahrzeug der Klägerin, welches sie nicht gesehen hatte. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Die Verischerung der Beklagten hat vorgerichtlich den SChaden der Klägerin auf Grundlage einer Haftungsquote von 50% reguliert. Hiermit war die Klägerin nicht einverstanden und begehrte 100% Schadenersatz. Die Instanzgerichte haben die Klage abgewiesen. Die Revision beim Bundesgerichthof blieb erfolglos.

Die Entscheidung

Zur Begründung führt der BGH aus: Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung allein das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§1 StVO) gilt und sich auch bei zwei gleichauf in die Engstelle fahrenden Fahrzeuge kein regelhafter Vortritt des rechtsfahrenden Fahrzeuges ergibt. Nichts anderes gilt auch dann, wenn beide Fahrzeuge gleichauf und mit gleicher Geschwindigkeit in die Engstelle gelangen. Auch in diesem Fall gebührt dem rechtsfahrenden Fahrzeug nicht regelhaft der Vortritt. Im Ergebnis hatte daher keines der beiden Fahrzeuge Vorrang, die Fahrzeughalter waren gehalten, sich unter gegenseitiger Rücksichtnahme darüber zu verständigen, wer als erster in die Engstelle einfahren darf. Nach alldem ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, dass sowohl die Beklagte als auch die Klägerin gegen ihre Pflicht zur erhöhten Rücksichtnahme verstoßen haben.

BGH - Urteil vom 08.03.2022, VI ZR 47/21

Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt

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Revolution des Artenschutzrechts?

Vom Reformvorhaben zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie an Land

3,2 Grad Celsius, das ist die im jüngst veröffentlichten IPCC-Bericht projizierte Erderwärmung im Jahr 2100, wenn die Staaten ihre bislang ergriffenen Maßnahmen nicht noch weiter nachschärfen (Summary for Policy Makers, C.1.). Nicht weniger als ein Aufruf zur Revolution, wie, im übertragenen Sinne, (auch) wir finden.

Anlass genug, das nur Stunden früher von den Bundesministerien für „Umwelt Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz“ sowie „Wirtschaft und Klimaschutz“ vorgestellteEckpunktepapier - Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land genauer zu betrachten.

Darin bekräftigen die beiden Ministerien vor dem Hintergrund der durch den furchtbaren Ukraine-Krieg „doppelten Dringlichkeit“ den Willen „alle Hebel in Bewegung zu setzen“ um den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzubringen. Dafür sollen u.a. in einem Wind-an-Land Gesetz die Länder verpflichtet werden künftig 2 Prozent ihrer Landesfläche für die Windenergie an Land zur Verfügung zu stellen, Abstände zu Drehfunkfeuern und Wetterradaren sollen kurzfristig deutlich reduziert werden und die Belange der Windenergie bei der Ausweisung von etwa Tiefflugkorridoren der Bundeswehr stärker beachtet werden, sowie die Länder aus Bundesmitteln bei der Verbesserung der personellen und technischen Ausstattung der Behörden unterstützt werden.  Und auch der von den Gegnern des Ausbaus der Windenergie nahezu immer in vorderster Linie „ins Feld geführte“ Arten- und Umweltschutz soll mit dem Ausbau der Windenergie vereinbart werden.

Und darum geht es in dem eingangs genannten „Eckpunktepapier“.

Zur Erinnerung: Ein großes Problem beim Bau von Windenergieanlagen (WEA) ist bislang stets die Frage, ob die Rotoren der jeweils geplanten Anlage drohen, besonders geschützte Vogel- o. Fledermausarten zu erfassen und zu töten. Da die Lebensräume auch von gefährdeten Arten jedoch nicht lediglich „unberührte Natur“ sind, sondern „von Menschenhand gestaltete Naturräume“ (so das Bundesverwaltungsgericht in BVerwG, 9 A 10/15) muss das Tötungsrisiko zumindest signifikant erhöht sein um das artenschutzrechtliche Tötungsverbot zu verletzen (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz). Die an dieser Stelle stets problematische und in den Ländern (wenn überhaupt) höchst unterschiedlich gelöste Ausfüllung dieser sog. Signifikanzprüfung soll durch Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) nun durch bundeseinheitliche Standards erfolgen. So ist angedacht anhand einer erstmals bundeseinheitlichen Liste windenergiesensibler Brutvogelarten einen artspezifischen Tabubereich um den Brutplatz und im weiteren Umkreis Prüfbereiche zu verorten, in denen die Regelvermutung der Überschreitung der Signifikanzschwelle gilt. Diese Vermutung soll anhand einer einheitlichen, sog. Habitatpotenzialanalyse, fachgutachterlich widerlegt und die bislang regelmäßig durchgeführten (und wesentlich aufwändigeren) Raumnutzungsanalysen nur noch im Einzelfall auf Antrag des Vorhabenträgers durchgeführt werden können. Außerhalb dieser Gebiete soll hingegen verbindlich sein, dass eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos nicht mehr gegeben ist. Weiterhin soll eine Liste artspezifischer Vermeidungsmaßnahmen (z.B. die Installation sog. „Antikollissionssysteme“ oder die behördliche Verfügug von Abschaltungen bei Ernte- und Mahdereignissen), mittels derer ein Absenken des Tötungsrisikos innerhalb der Bereiche möglich ist,  vorgegeben werden. Besonders komplette saisonale Abschaltungen, welche die Wirtschaftlichkeit eines Vorhabens gefährden, sollen nicht mehr erfolgen. Insgesamt soll für die Zumutbarkeit von Vermeidungsmaßnahmen eine auch am jeweiligen Ertrag orientierte Schwelle von i.d.R. 6% (max. 8%) der jährlichen Erzeugung definiert werden, ab deren Überschreiten eine Ausnahme zu beantragen sei.

Diese artenschutzrechtliche Ausnahme (§ 45 Abs. 7 BNatSchG), bislang hoch umstritten und einem Flickenteppich gleich in der Praxis angewandt, soll ebenfalls weitgehend angepasst werden. Bei Vorliegen der Voraussetzungen soll diese etwa künftig ohne Ermessen der Verwaltung zu erteilen sein. Auch wird die noch in der letzten Legislaturperiode verworfene Feststellung des nun „überragenden“ öffentlichen Interesses am Ausbau erneuerbarer Energien erneut aufgegriffen, wodurch nunmehr regelmäßig ein sog. Ausnahmegrund gegeben wäre. Weiterhin soll die notwendige Prüfung von Vorhabenalternativen konkretisiert werden, indem die Regelvermutung, dass innerhalb speziell für Windenergie ausgewiesenen Flächen keine Standortalternative gegeben ist, eingeführt wird und im Übrigen „ein klar umgrenzter [Prüf-]Bereich“ gelten soll. Gleichfalls auch für das letzte Kriterium, der „(Nicht-)Verschlechterung des Erhaltungszustands der Art“, beabsichtigt die Bundesregierung zeitnah einheitliche und konkrete Vorgaben zur Prüfung zu erlassen. Dafür soll für die kollisionsgefährdeten Vögel verbindlich deren Erhaltungszustand festgelegt werden und im Übrigen anhand (verschiedener) gesetzlicher Vermutungen der Verstoß gegen das sog. „Verschlechterungsverbot“ festgestellt werden.

Überdies plant der Gesetzgeber auch eine Vielzahl an Anpassungen und Konkretisierungen mit Berührung des Artenschutz- und Umweltrechts. So soll klargestellt werden, dass nachträgliche Anordnungen zulasten einer genehmigten Anlage, etwa weil sich zwischenzeitlich Exemplare windenergiesensibler Arten im Gebiet niedergelassen haben, nur in Ausnahmefällen und unter Beachtung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit zulässig sind. Weiterhin soll die Aufstellung von Nisthilfen für solche Arten im Bereich um bestehende WEA und auf für diese ausgewiesenen Flächen für unzulässig erklärt werden. Ein Vorgehen, das in der Praxis nicht selten eigenmächtig angewandt wird, um ungewollte WEA zu verhindern. Darüber hinaus soll auch das Repowering (Ersetzen alter WEA mit einer neuen, leistungsfähigeren Anlage) durch Aufnahme verschiedentlicher Klarstellungen im Gesetzestext vereinfacht werden.

Zuletzt adressiert das Papier die sog. Landschaftsschutzgebiete (§ 26 BNatSchG), das sind zumeist großflächige Gebiete, die vor allem auf den Erhalt der kulturhistorischen Landschaft oder die Erholung ausgerichtet sind, die aber große Flächenanteile des bundesdeutschen Gebiets umfassen. Innerhalb solcher Gebiete, sofern sie nicht zugleich Natura-2000-Gebiete oder Weltkultur-/naturerbeflächen sind, soll es künftig auch möglich sein, verstärkt auch Flächen für die Windenergie ausgewiesen und WEA bis zum Erreichen der Flächenziele generell auch außerhalb solcher ausgewiesenen Flächen zulässig sein.

Wie voran dargestellt, hat der Gesetzgeber sich mit diesem Papier einiges vorgenommen und wir freuen uns, viele aus der täglichen Arbeit bekannte Probleme hier adressiert zu finden. Wir begrüßen insbesondere die Bestrebungen einheitliche und konkrete Vorgaben bei der Ausfüllung der abstrakten Rechtsbegriffe im Artenschutzrecht zu schaffen. Da diese vielfach jedoch auch an dieser Stelle noch nicht konkret benannt wurden, möchten wir uns mit einem abschließenden Urteil noch zurückhalten, denn einheitlich heißt nicht auch gleich besser! Daneben begrüßen wir grundsätzlich auch den offenkundigen Ansatz vielfach mit gesetzlichen Regelvermutungen zu arbeiten, da dies einen Grundschutz der bedrohten Arten darstellt und gleichzeitig dennoch die Genehmigungsverfahren verschlanken dürfte. Ob dies im vollen Umfang auch europarechtlichen Vorgaben (dazu bereits hier) entspricht, bleibt sicherlich streitbar.

Insgesamt blicken wir also eher optimistisch auf diesen Entwurf und freuen uns festzustellen, dass die Politik nach Jahren des schleppenden Ausbaus die Probleme der  Windenergie an Land erkannt zu haben scheint. Bezogen auf das ultimative Ziel die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, ist dies vielleicht noch keine Revolution, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Über den weiteren Verlauf werden wir weiterhin auf dem Laufenden halten.

Philipp Döhmel, Rechtsanwalt

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Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – Teil 3

Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) tritt zum 01.01.2024 in Kraft. Die bis dahin gegebene Übergangszeit gibt allen bestehenden Unternehmen die Möglichkeit, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Wir berichteten hierzu bereits: Teil 1  und Teil 2

Ist-Stand

Fernab gesellschaftsvertraglicher Sonderregelungen ist ein Beschlussmängelrecht nebst dem vorausgegangenen Beschlussverfahren nicht kodifiziert. Allenfalls in Teilbereichen kann durch einzelfallbezogene Rechtsprechung eine zu empfehlende Regelungstendenz unterstellt werden.

Nach allgemeiner Ansicht kommt dem Versammlungsleiter bislang keine Kompetenz zur Beschlussfassung mit Verbindlichkeit zu. Gesellschafter können sich jederzeit - obgleich einer Anfechtung - auf die Unwirksamkeit des Beschlusses berufen. Eine Klagefrist zur Geltendmachung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses lag schlichtweg nicht vor; allenfalls eine Verwirkung konnte in engen Grenzen in Betracht kommen. Demzufolge konnte die Wirksamkeit von Beschlüssen noch nach mehr als 6 Monaten auf den Prüfstand gestellt werden.

Ziel der konkreten Anpassung

Ziel der Reform war es daher auch, durch die Einführung eines dispositives Beschlussmängelrecht mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Dabei werden ferner erstmals Regelungen zum Beschlussverfahren in Personengesellschaften vorgesehen (§ 714 BGB n.F., § 109 HGB n.F.).

Für OHG und KG hat der Gesetzgeber sich zudem für ein Beschlussmängelrecht entschieden. Vorbild für das neue Beschlussmängelrecht war das aktienrechtliche Anfechtungsmodell. Konkrete Anpassungen zum Beschlussverfahren (a) und dem Beschlussmängelrecht (b) finden sich jedoch eher im HBG als im BGB, wonach sich der Gesetzgeber hinsichtlich der GbR (entsprechend der GmbH) die Kodifizierung formeller Anfechtungsregeln bewusst offengelassen hat.

Wesentliche Änderungen und eigene Einschätzung

(a) Beschlussverfahren

(b) Beschlussmängel, § 110 ff. HGB n. F.

Wenngleich die neuen Regelungen zum Beschlussverfahren und zu den Beschlussmängeln bei größeren Personenhandelsgesellschaften ohnehin bereits der gängigen gesellschaftsvertraglichen Gestaltungspraxis entspricht, folgt der Gesetzgeber diesem nicht nur, sondern schafft auch erhöhte Rechtssicherheit für kleinere Gesellschaften. Die Schaffung von Rechtssicherheit bei Beschlussmängelstreitigkeiten bei OHG und KG erachten wir als positiv und begrüßenswert.

Offen lässt das Gesetz jedoch Detailfragen, etwa nach der Bestimmung des Versammlungsleiters.

Handlungsbedarf

Mit Rechtskraft des MoPeG zum 01.01. gilt das neue Beschlussmängelrecht; die Satzung kann jedoch schon per dato auf die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Jedem einzelnen ist anzuraten, die neuen Möglichkeiten für sich selbst auf den Prüfstand zu stellen. Detailfragen für OHG‘s und KG’s, die das Gesetz offenlässt, sollten besondere Berücksichtigung finden. Dazu zählt etwa die Festlegung der Person des Versammlungsleiters und Protokollführers. Denn ohne hinreichend schriftlich verfassten, feststellenden Beschluss bleibt das avisierte Anfechtungsverfahren ggf. erfolglos.

Für GbR-Gesellschafter gilt es, auf freiwilliger Basis ihre Gesellschaftsverträge auf das neue Beschlussmängelverfahren umzustellen. Ratsam ist dies insbesondere bei einer Vielzahl von Gesellschaftern. Denn mit einer höheren Gesellschafteranzahl ist die Willensbildung in der GbR wesentlich streitanfälliger.

IWP berät Sie hier gern.

Dr. Arlette I. Sterl, Rechtsanwältin

(Foto: Pexels)

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Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung

Der unter anderem für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte die Frage zu entscheiden, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der Covid-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist.

Rechtsdogmatische Klarstellung

In seinem grundlegenden Urteil vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21) stellt der BGH zunächst fest, dass die durch die Covid-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 S. 1 BGB führt. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich. Stattdessen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass im Falle einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beruht, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.

In welcher Höhe ist die Mietminderung gerechtfertigt?

In der Rechtsprechung der vergangenen Monate war zu erkennen, dass sich Mieter und Vermieter oftmals das Risiko teilten, weshalb häufig eine Mietminderungsquote von 50 % angenommen wurde. Dem hat der BGH jetzt einen Riegel vorgeschoben:

Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.

Was bedeutet das für die Praxis?

Zunächst ist zu ermitteln, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer gegebenenfalls einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Fazit

Nach dem Spruch des BGH haben die Gerichte nunmehr in Zukunft zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Mieter hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, die eine Anpassung des Mietvertrages im Hinblick auf die Mietzahlungsverpflichtung erforderlich macht.

Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt

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