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Revolution des Artenschutzrechts?
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Revolution des Artenschutzrechts?

Revolution des Artenschutzrechts?

Vom Reformvorhaben zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie an Land

3,2 Grad Celsius, das ist die im jüngst veröffentlichten IPCC-Bericht projizierte Erderwärmung im Jahr 2100, wenn die Staaten ihre bislang ergriffenen Maßnahmen nicht noch weiter nachschärfen (Summary for Policy Makers, C.1.). Nicht weniger als ein Aufruf zur Revolution, wie, im übertragenen Sinne, (auch) wir finden.

Anlass genug, das nur Stunden früher von den Bundesministerien für „Umwelt Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz“ sowie „Wirtschaft und Klimaschutz“ vorgestellteEckpunktepapier - Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land genauer zu betrachten.

Darin bekräftigen die beiden Ministerien vor dem Hintergrund der durch den furchtbaren Ukraine-Krieg „doppelten Dringlichkeit“ den Willen „alle Hebel in Bewegung zu setzen“ um den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzubringen. Dafür sollen u.a. in einem Wind-an-Land Gesetz die Länder verpflichtet werden künftig 2 Prozent ihrer Landesfläche für die Windenergie an Land zur Verfügung zu stellen, Abstände zu Drehfunkfeuern und Wetterradaren sollen kurzfristig deutlich reduziert werden und die Belange der Windenergie bei der Ausweisung von etwa Tiefflugkorridoren der Bundeswehr stärker beachtet werden, sowie die Länder aus Bundesmitteln bei der Verbesserung der personellen und technischen Ausstattung der Behörden unterstützt werden.  Und auch der von den Gegnern des Ausbaus der Windenergie nahezu immer in vorderster Linie „ins Feld geführte“ Arten- und Umweltschutz soll mit dem Ausbau der Windenergie vereinbart werden.

Und darum geht es in dem eingangs genannten „Eckpunktepapier“.

Zur Erinnerung: Ein großes Problem beim Bau von Windenergieanlagen (WEA) ist bislang stets die Frage, ob die Rotoren der jeweils geplanten Anlage drohen, besonders geschützte Vogel- o. Fledermausarten zu erfassen und zu töten. Da die Lebensräume auch von gefährdeten Arten jedoch nicht lediglich „unberührte Natur“ sind, sondern „von Menschenhand gestaltete Naturräume“ (so das Bundesverwaltungsgericht in BVerwG, 9 A 10/15) muss das Tötungsrisiko zumindest signifikant erhöht sein um das artenschutzrechtliche Tötungsverbot zu verletzen (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz). Die an dieser Stelle stets problematische und in den Ländern (wenn überhaupt) höchst unterschiedlich gelöste Ausfüllung dieser sog. Signifikanzprüfung soll durch Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) nun durch bundeseinheitliche Standards erfolgen. So ist angedacht anhand einer erstmals bundeseinheitlichen Liste windenergiesensibler Brutvogelarten einen artspezifischen Tabubereich um den Brutplatz und im weiteren Umkreis Prüfbereiche zu verorten, in denen die Regelvermutung der Überschreitung der Signifikanzschwelle gilt. Diese Vermutung soll anhand einer einheitlichen, sog. Habitatpotenzialanalyse, fachgutachterlich widerlegt und die bislang regelmäßig durchgeführten (und wesentlich aufwändigeren) Raumnutzungsanalysen nur noch im Einzelfall auf Antrag des Vorhabenträgers durchgeführt werden können. Außerhalb dieser Gebiete soll hingegen verbindlich sein, dass eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos nicht mehr gegeben ist. Weiterhin soll eine Liste artspezifischer Vermeidungsmaßnahmen (z.B. die Installation sog. „Antikollissionssysteme“ oder die behördliche Verfügug von Abschaltungen bei Ernte- und Mahdereignissen), mittels derer ein Absenken des Tötungsrisikos innerhalb der Bereiche möglich ist,  vorgegeben werden. Besonders komplette saisonale Abschaltungen, welche die Wirtschaftlichkeit eines Vorhabens gefährden, sollen nicht mehr erfolgen. Insgesamt soll für die Zumutbarkeit von Vermeidungsmaßnahmen eine auch am jeweiligen Ertrag orientierte Schwelle von i.d.R. 6% (max. 8%) der jährlichen Erzeugung definiert werden, ab deren Überschreiten eine Ausnahme zu beantragen sei.

Diese artenschutzrechtliche Ausnahme (§ 45 Abs. 7 BNatSchG), bislang hoch umstritten und einem Flickenteppich gleich in der Praxis angewandt, soll ebenfalls weitgehend angepasst werden. Bei Vorliegen der Voraussetzungen soll diese etwa künftig ohne Ermessen der Verwaltung zu erteilen sein. Auch wird die noch in der letzten Legislaturperiode verworfene Feststellung des nun „überragenden“ öffentlichen Interesses am Ausbau erneuerbarer Energien erneut aufgegriffen, wodurch nunmehr regelmäßig ein sog. Ausnahmegrund gegeben wäre. Weiterhin soll die notwendige Prüfung von Vorhabenalternativen konkretisiert werden, indem die Regelvermutung, dass innerhalb speziell für Windenergie ausgewiesenen Flächen keine Standortalternative gegeben ist, eingeführt wird und im Übrigen „ein klar umgrenzter [Prüf-]Bereich“ gelten soll. Gleichfalls auch für das letzte Kriterium, der „(Nicht-)Verschlechterung des Erhaltungszustands der Art“, beabsichtigt die Bundesregierung zeitnah einheitliche und konkrete Vorgaben zur Prüfung zu erlassen. Dafür soll für die kollisionsgefährdeten Vögel verbindlich deren Erhaltungszustand festgelegt werden und im Übrigen anhand (verschiedener) gesetzlicher Vermutungen der Verstoß gegen das sog. „Verschlechterungsverbot“ festgestellt werden.

Überdies plant der Gesetzgeber auch eine Vielzahl an Anpassungen und Konkretisierungen mit Berührung des Artenschutz- und Umweltrechts. So soll klargestellt werden, dass nachträgliche Anordnungen zulasten einer genehmigten Anlage, etwa weil sich zwischenzeitlich Exemplare windenergiesensibler Arten im Gebiet niedergelassen haben, nur in Ausnahmefällen und unter Beachtung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit zulässig sind. Weiterhin soll die Aufstellung von Nisthilfen für solche Arten im Bereich um bestehende WEA und auf für diese ausgewiesenen Flächen für unzulässig erklärt werden. Ein Vorgehen, das in der Praxis nicht selten eigenmächtig angewandt wird, um ungewollte WEA zu verhindern. Darüber hinaus soll auch das Repowering (Ersetzen alter WEA mit einer neuen, leistungsfähigeren Anlage) durch Aufnahme verschiedentlicher Klarstellungen im Gesetzestext vereinfacht werden.

Zuletzt adressiert das Papier die sog. Landschaftsschutzgebiete (§ 26 BNatSchG), das sind zumeist großflächige Gebiete, die vor allem auf den Erhalt der kulturhistorischen Landschaft oder die Erholung ausgerichtet sind, die aber große Flächenanteile des bundesdeutschen Gebiets umfassen. Innerhalb solcher Gebiete, sofern sie nicht zugleich Natura-2000-Gebiete oder Weltkultur-/naturerbeflächen sind, soll es künftig auch möglich sein, verstärkt auch Flächen für die Windenergie ausgewiesen und WEA bis zum Erreichen der Flächenziele generell auch außerhalb solcher ausgewiesenen Flächen zulässig sein.

Wie voran dargestellt, hat der Gesetzgeber sich mit diesem Papier einiges vorgenommen und wir freuen uns, viele aus der täglichen Arbeit bekannte Probleme hier adressiert zu finden. Wir begrüßen insbesondere die Bestrebungen einheitliche und konkrete Vorgaben bei der Ausfüllung der abstrakten Rechtsbegriffe im Artenschutzrecht zu schaffen. Da diese vielfach jedoch auch an dieser Stelle noch nicht konkret benannt wurden, möchten wir uns mit einem abschließenden Urteil noch zurückhalten, denn einheitlich heißt nicht auch gleich besser! Daneben begrüßen wir grundsätzlich auch den offenkundigen Ansatz vielfach mit gesetzlichen Regelvermutungen zu arbeiten, da dies einen Grundschutz der bedrohten Arten darstellt und gleichzeitig dennoch die Genehmigungsverfahren verschlanken dürfte. Ob dies im vollen Umfang auch europarechtlichen Vorgaben (dazu bereits hier) entspricht, bleibt sicherlich streitbar.

Insgesamt blicken wir also eher optimistisch auf diesen Entwurf und freuen uns festzustellen, dass die Politik nach Jahren des schleppenden Ausbaus die Probleme der  Windenergie an Land erkannt zu haben scheint. Bezogen auf das ultimative Ziel die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, ist dies vielleicht noch keine Revolution, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Über den weiteren Verlauf werden wir weiterhin auf dem Laufenden halten.

Philipp Döhmel, Rechtsanwalt
(Foto: jdblack -Wiesenlerche)

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Wolfgang Tücks, Rechtsanwalt für Verkehrsrecht
(Foto: K HOWARD)
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